Der Start ist noch von Knurren und Grunzen begleitet, doch dann schießt das Gatter nach oben und die Kamele galoppieren los. Mit gestreckten Hälsen fliegen ihre langen Beine über die Sandpiste, in einer weiten Kurve dem Ziel entgegen.
„Dschah! Dschah! Dschah! Dschah!“
brüllt ein Kamelbesitzer aus einem Auto neben der Rennstrecke, lehnt sich aus dem Fenster und hämmert gegen die Autotür, um Tier und Jockey anzutreiben. Das Preisgeld gewinnt sich nicht von allein. In Taif im Südwesten Saudi-Arabiens kann man gewissermaßen einen Grand Prix des Kamelrennsports verfolgen. Im Topf liegen umgerechnet mehr als 13 Millionen Euro Preisgeld für Gewinner und gut Platzierte aus 250 Runden. Das Kamelfestival zu Ehren von Kronprinz Mohammed bin Salman, dieses Jahr in sechster Auflage, liegt damit gleichauf mit den am höchsten prämierten Pferderennen weltweit. 21.000 Kamele sind dieses Jahr in Taif mit dabei.
Frauen sind jetzt „Teil des Programms“
Kamelreiten war auf der Arabischen Halbinsel über Jahrhunderte vor allem Männersache, aber nun drängen Frauen in den Sport – mit Hilfe einer Deutschen aus Baden-Württemberg.
„Letztes Jahr war alles noch eine Ausnahme, jetzt ist es richtig Teil des Programms. Das Vertrauen wächst, dass Frauen das auch können und man die Stützräder abnimmt.“
sagt die 33-Jährige Linda Krockenberger, die aus der Nähe von Schwäbisch Hall stammt und die in Dubai die erste Kamelreitschule für Frauen eröffnet hat.
Die offizielle Premiere, also ein Frauen-Kamelrennen unter Aufsicht einer Föderation, fand hier in Taif vergangenes Jahr statt. Krockenberger brachte zehn Frauen an den Start – dieses Jahr sind es schon 25. Die gesonderten Frauen-Rennen passen zum modernen Anstrich, den Saudi-Arabien sich seit einigen Jahren geben will: Frauen dürfen Auto fahren, Unternehmen gründen – oder eben bei Kamelrennen antreten. „Es wird nicht von allen akzeptiert. Aber einige Menschen geben wirklich Unterstützung.“, sagt eine iranische Reiterin. Bei den Frauenrechten schneidet Saudi-Arabien trotz der Reformen laut Menschenrechtlern immer noch miserabel ab.
Kamele der Spitzenklasse treten an
Auf der Arabischen Halbinsel waren und sind die Einhöckrigen ein Statussymbol, einst gehalten für Fleisch, Milch, Wolle und Lederhaut sowie als Fortbewegungsmittel. Rennen soll es schon im 7. Jahrhundert gegeben haben als Volkssport, später auch bei Hochzeiten und religiösen Festen. Der Sport breitete sich aus nach Ostafrika, Indien und Australien. Im arabischen Raum tritt dank spezieller Trainings und Zuchtprogramme, auch durch künstliche Besamung und Embryotransfers, die Spitzenklasse an. Selbst ihre Kamele aus Dubai seien hier nicht gut genug, sagt Krockenberger.
Was mit nomadischen Wüstenvölkern begann, wird heute mit modernen Mitteln zur Bestleistung getrieben. Meist sitzen keine Jockeys mehr auf den Höckern, sondern kleine Roboter, bei denen Besitzer die Gertenhiebe per Funk auslösen können. Das geringere Gewicht der Roboter lässt junge Tiere schneller laufen, die so auch weniger Wirbelverletzungen erleiden. In Geländewagen rauschen Besitzer und Trainer auf Asphalt neben der Rennstrecke her, drängeln und hupen mit ihren SUV, manchmal knallt es auch.
„Gegen jedes Gesetz der Physik“
Konzentrierte Blicke, als Krockenberger und ihr Team aufsitzen. Ihre Füße – sie reiten in Socken – klemmen sie nach hinten unter die Sitzdecke, stützen die Knie auf dem Kamelrücken ab. Sattel und Steigbügel wie bei Pferden gibt es nicht. „Man hüpft unglaublich. Es geht gegen jedes Gesetz der Physik.“, sagt eine Teilnehmerin nach dem Rennen.
Obwohl der Lauf nur über zwei Kilometer geht und nur ein paar Minuten dauert, zittern einigen die Hände auch noch eine halbe Stunde später. „Es sind so kraftraubende drei Minuten, das darf man einfach nicht unterschätzen“ , sagt Swaantje Jorina Niehus, die für das Rennen aus Zug in der Schweiz angereist ist. Sie fing vor zwei Jahren in Krockenbergers Schule an und fliegt nun etwa alle drei Monate nach Dubai zum Training. Ein Stück sei man dem Kamel auch ausgeliefert, sagt Niehus. Denn die bis zu 800 Kilogramm schweren Tiere setzen den Galopp oder Trab, wenn die Herde erstmal losgerannt ist, in der Regel bis zum Ziel fort. „Bei Pferderennen kann man anhalten. Das geht hier nicht.“
Den ersten Platz holt eine Algerierin aus Krockenbergers Team, bei den Fotos an der Siegertreppe ist sie ganz aufgelöst. Krockenberger weiß, dass es Geduld braucht, bis große offizielle Rennen etwa auch in den Emiraten stattfinden. Jenseits der Tribüne führen Treiber die Kamelherden umher. Sie sagt: „Wenn ich es nicht mache,wer macht es dann?“
(mm/dpa)